Einen Monat keine Datenspuren hinterlassen:
Mit Sebastian Kühn von WirelessLife [1] spreche ich über seinen Selbstversuch. Wir reden darüber, wie schwierig komplette Anonymität im Internet zu erreichen ist und welche Maßnahmen einfach umzusetzen sind.
Links
[1] Wirelesslifedie von Sebastian erwähnten Tools:
Tails: auf Privatsphäre ausgerichtete Linux-Distribution
Firefox: Internetbrowser
TOR: Netzwerk zur Anonymisierung
Protonmail: sicherer Email-Anbieter mit Verschlüsselung
Telegram: alternativer Messenger
Signal: als sehr sicher anerkannter, alternativer Messenger
im Wortlaut: die komplette Folge zum Nachlesen
Anonymität im Internet
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Datenwache, dem Podcast, in dem es um den Schutz deiner Daten und deiner Privatsphäre im Internet geht. Ich bin Mitch, ich bin dein Gastgeber und heute haben wir ein etwas ungewöhnliches Format der Datenwache hier vor uns, nämlich ein Interview mit Sebastian Kühn. Sebastian ist Betreiber des Blogs Wireless Life und hat dieses Jahr ein sehr interessantes Projekt hinter sich gebracht, über das er uns berichten wird. Ich wünsche euch viel Spaß!
MITCH: Hallo Sebastian und ganz herzlich willkommen hier bei der Datenwache. Schön, dass es bei dir geklappt hat.
SEBASTIAN: Ja, vielen Dank für die Einladung, Mitch. Ich freue mich auf unser Gespräch.
MITCH: Vielleicht ganz kurz zu dir. Du bist Eigentümer der Webseite Wireless Life und als Experte für ortsunabhängiges Arbeiten unterwegs. Vielleicht willst du ein paar Worte zu dir selber sagen, was du machst, was so deine Expertise ist?
SEBASTIAN: Sehr gerne. Ich gehe mal noch ein Stück zurück. In meinen Zwanzigern hatte ich einen relativ traditionellen Werdegang, Ausbildung im Handel, habe BWL studiert, Reisen hatten schon immer eine relativ große Rolle gespielt für mich und mit Ende 20 hatte ich das Gefühl, ich war damals in Berlin, hatte das Gefühl, ich muss dringend mal raus, ich muss irgendwie mal ganz weit weg, bin noch nicht so richtig bereit für die große Karriere in einem Konzern und bin dann nach Shanghai gegangen. In Shanghai habe ich mich dann nach dem letzten halben Jahr in Festanstellung selbständig gemacht. Anfangs mit Dienstleistungen, ich habe als Übersetzer gefreelanct, habe mich dann viel ausprobiert im Bereich E-Commerce, Affiliate Marketing, ganz unterschiedliche Sachen gemacht und habe dann mit dem Schreiben mein Medium gefunden. Du hast es eben schon gesagt, da ist ein Blog entstandenen, der nennt sich Wireless Life, da geht’s’ um das große Thema ortsunabhängig arbeiten und selbstbestimmt leben. Den gibt’s heute immer noch und das ist zu meiner großen Leidenschaft geworden.
MITCH: Das heißt, wie lange machst du das jetzt schon?
SEBASTIAN: Der Blog ist Ende 2013 entstanden, das heißt, ich bin jetzt im 5. Jahr.
MITCH: Du hast ja einiges an spannenden Themen bei dir publiziert und hast dieses Jahr ein spannendes Projekt, dass dich glaube ich auch gut unter Vollgas hält, vielleicht kannst du darüber ein bisschen was erzählen?
SEBASTIAN: Genau, ich glaube, das ist auch der Grund, warum du mich hier eingeladen hast.
MITCH: Das kann sein. Ja.
Das Projekt:
SEBASTIAN: Ich habe 4 Jahre lang viel darüber geschrieben, wie man sich ortsunabhängig selbständig macht, viel über bürokratische Themen, was passiert mit Steuern und Versicherung, wenn ich ins Ausland gehe, relativ trockene Themen. Jetzt in 2018 habe ich mir mal was ganz anderes vorgenommen als auf meiner Seite. Da geht’s vor allem auch darum, mal so alte Gewohnheiten zu hinterfragen, mal so einen Schritt raus zu machen aus der eigenen Komfortzone. Deshalb habe ich jetzt jeden Monat ein anderes Experiment für mich gemacht, also 12 verschiedene Selbstversuche in 2018. Das fing im Januar an und das ist ja genau unser Thema, da war ich der Anonyme, ich habe einen Monat als Frutarier gelebt, war im FKK-Camp komplett nackig einen Monat lang, habe mit Aussteigern in einer Selbstversorger-Community gelebt, komme jetzt gerade wieder aus Italien, wo ich einen Monat pilgern war. Also habe versucht mich einfach in das Lebensmodell von anderen Menschen besser reinversetzen zu können, um mir einfach selber eine bessere Meinung bilden zu können und auch einfach meine Sicht auf die Welt zu vergrößern. So würde ich das ganz kurz zusammenfassen.
MITCH: Also de facto und ein Tipp an die Hörer, wirklich jeder einzelne deiner Artikel darüber absolut lesenswert, weil da wirklich solche Extreme da irgendwie mitzumachen, ist schon Wahnsinn. Aber du hast es gerade gesagt, im Januar hast du natürlich das, was zu dem Thema dieser Sendung oder dieses Podcast gut passt, als der Anonyme gelebt. Wenn ich das so zusammenfasse, dann hast du wirklich versucht, einen Monat lang so gut es geht wirklich alle Datenspuren, alle digitalen Spuren von dir zu vermeiden. Ist das so richtig?
Einen Monat in Anonymität
SEBASTIAN: Genau richtig, ja. Ich fand das sehr spannend, ich habe Ende 2017 verschiedene Vorschläge für Experimente gemacht, habe meine Leser auch gefragt, selber noch Vorschläge zu unterbreiten und dann habe ich alle Leute abstimmen lassen. Dieses erste Experiment hatte dann mit Abstand die meisten Stimmen. Also es scheint wirklich ein Thema zu sein, was zumindest meine Leserschaft total brennend interessiert hat. Ich habe dann versucht, wie du eben schon gesagt hast, keine elektronischen Spuren zu hinterlassen und da gehört jetzt natürlich nicht nur das Smartphone und der Computer dazu, sondern auch der Reisepass und die Kreditkarte.
MITCH: Was vielleicht relativ einfach wäre, wenn man jetzt sagt, man bleibt zu Hause in seinem gemütlichen Dörfchen oder sowas, aber du warst ja während der Zeit auch noch gut unterwegs?
SEBASTIAN: Genau, mir ging es wirklich darum, immer noch fest am Leben teilzunehmen, immer noch Kontakt zu meinem sozialen Umfeld zu haben, also mich nicht zu verstecken. Das wäre natürlich die einfachere Variante, aber ich wollte mal sehen, wie stark kann ich meine Privatsphäre eigentlich schützen, wenn ich einfach ganz normaler Bestandteil des Lebens bleiben möchte? Das hat sich als sehr große Herausforderung herausgestellt.
Die Maßnahmen
MITCH: Okay. Ja, erzähl mal ein bisschen. Was hast du für Maßnahmen ergriffen, was hast du alles gemacht?
SEBASTIAN: Ich war zu dem Zeitpunkt in Thailand, nebenbei habe ich mein Business weiterbetrieben, bin auch Teilhaber in einer Online-Community und wir haben im Januar eine große Konferenz organisiert in Chiang Mai und das war alles sehr problematisch, die ganze Kommunikation. Ich habe mir vorher schon Gedanken gemacht, wie ich das auf die Reihe bekomme. Habe da viele Bücher gelesen und habe mir im Grunde eine zweite Identität zugelegt, die also überhaupt nicht mit mir in Verbindung stand. Habe mir ein neues Netbook gekauft, so ein kleines, ich komme gerade gar nicht drauf von welcher Marke das war, so ein Netbook für 250 Euro. Habe mir so ein ganz altes Telefon gekauft, mit dem man nichts machen kann außer telefonieren und SMS schreiben. Mit einer neuen SIM-Karte, die nicht auf meinen Namen registriert war. Also wirklich alles ganz sauber und habe diese neuen Geräte über die zweite Identität benutzt. Habe mir dort am Anfang ein Betriebssystem installiert, das nennt sich Tails, was von Hackern für Hacker entwickelt wurde.
MITCH: So Linux-basiert, ja?
SEBASTIAN: Genau, Linux-basiert. Habe wirklich versucht Programme zu verwenden, die irgendwann mal von der NASA entwickelt wurden, also wirklich null Benutzerfreundlichkeit haben, aber dafür hochsicher sind. Bin wirklich in den ersten Tagen verzweifelt an diesen ganzen Programmen, weil einfach, da fehlt mir das technische Verständnis. Habe dann angefangen mich nach benutzerfreundlicheren Alternativen umzuschauen und habe da auch ein paar Sachen entdeckt, über die wir gerne noch reden können.
Kontakt halten
MITCH: Okay, aber so ganz am Anfang, das heißt, du bist nur über Tor-Netz dann irgendwie unterwegs gewesen, gesurft und wie hast du deinen Bekannten, mit deinen Freunden, mit deinen Kunden weiter kommuniziert? Weil so ganz normal via E-Mail und WhatsApp wird es dann nicht gewesen sein, ne?
SEBASTIAN: Genau, ja. Also ich habe am Anfang Protonmail benutzt, über Protonmail kann man diese verschlüsselten E-Mails schicken. Das Problem war nur, die konnte niemand öffnen, weil niemand wusste, wie die entschlüsselt werden. Das heißt, das war eine Katastrophe die Kommunikation. Habe dann begonnen, also ich habe wirklich viel telefoniert in dem Monat, tatsächlich den Leuten, die ich gesehen habe vor Ort, meine neue Telefonnummer gegeben. Habe viel Telegram benutzt, Telegram also als Alternative zu WhatsApp und Facebook Messenger. Hab viel telefoniert über Signal, was ich heute immer noch mache. Ganz tolle Alternative zu Skype. Absolut sicher, sehr hohe Anforderungen an Datenschutz. Du hast es schon gesagt, ich war viel mit dem Tor-Browser unterwegs, habe mich auch im Darknet mal umgeschaut, habe vor allem den Firefox-Browser dann genutzt und habe immer darauf geachtet, dass ich da natürlich nicht eingeloggt war und dass keine Verbindung zu meiner tatsächlichen Identität, zu Sebastian Kühn, hergestellt werden kann.
100% Anonymität sind Stress pur
MITCH: Hattest du nach den Anfangsschwierigkeiten, ich meine, du hast natürlich auch wirklich so versucht alles von jetzt auf gleich zu verändern und so wie es rausklang, war das jetzt ja nicht unbedingt dein Daily Business vorneweg. Hast du das Gefühl gehabt, so nach den ersten zwei Wochen, es funktioniert dann auch irgendwann einigermaßen rund oder wie erging es dir dann damit?
SEBASTIAN: Sehr hohes Stresslevel. Mit jedem Tag hatte ich weniger das Gefühl, dass das funktioniert. Also es war wirklich sehr nervenaufreibend. Ich arbeite normalerweise viel mit Tools wie Slack, Gmail natürlich, mit Trello, mit einfach so Projektmanagementsoftware, Kommunikationssoftware und die konnte ich einfach nicht mehr benutzen. Die neue Software und die neuen Apps, die ich benutzt habe, da war einfach keiner meiner Geschäftspartner und keiner meiner Freunde. Das heißt ich hatte die zwar installiert, aber war da relativ allein. Da war viel Überzeugungsarbeit einfach nötig, um die Leute davon zu überzeugen, dass sie auch anfangen mal Telegram zu benutzen und Signal. Ich meine, das Problem und das habe ich auch festgestellt im Januar, da braucht es natürlich immer eine kritische Masse. Also wir benutzen ja alle Facebook und Skype und WhatsApp, weil dort auch alle unsere Freunde sind, macht die Sache sehr einfach. Jetzt diese Kosten, also das Zeit-Investment, um auf so einen neuen Service zu wechseln, der ist relativ hoch. Da nehmen wir glaube ich die geringere Privatsphäre in Kauf für unser Bequemlichkeiten. Das ist mir bewusst geworden im Januar.
MITCH: Ja. Vor allen Dingen, wenn man tatsächlich davon ausgeht, dass wirklich jeder mitziehen muss. Ich predige typischerweise so ein Vorgehen und mache das ja auch selber. Ich meine, es gibt auch Bereiche, wo man einfach eine WhatsApp-Gruppe braucht, weil sonst hat man mit dem Sportverein, wenn man den versucht irgendwie auf Telegram, Signal oder sonst was rüber zu ziehen, dann steht man halt relativ alleine da, da kriegt man ein paar Leute rüber. Aber so, du warst ja wirklich darauf angewiesen, dass alle mitmachen oder der Kontakt fand halt nicht mehr statt. Das ist natürlich schon schwierig oder in dem Fall würde ich sogar fast sagen, komplett unmöglich oder?
80/20
SEBASTIAN: Ja. Es war wirklich unmöglich. Ich habe gemerkt, dieses Extrem, also wirklich zu versuchen, 100 Prozent anonym zu sein, das ist sehr stark auf Widerstand bei mir gestoßen, weil es einfach so anstrengend war. Andersrum, 80 bis 90 Prozent meiner Daten zu schützen, das war gar nicht so schwer. Also ich habe gemerkt, so ganz nach dem Pareto-Prinzip, nach der 80–20-Regel, so mit ein paar kleinen Änderungen lässt sich schon sehr viel erreichen, kann ich schon sehr viele meiner Daten schützen und muss auch gar nicht den Anspruch haben, jetzt da 100 Prozent anonym zu sein. Aber wichtig war erstmal, dieses Bewusstsein zu bekommen und dafür bin ich auch dankbar, dass ich dieses spielerische Experiment gemacht habe, um einfach ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, weil das hatte ich vorher definitiv nicht.
MITCH: Okay. Was würdest du sagen, was war so das, was wirklich am schwierigsten, am schwersten dir gefallen ist, wo du sagst, also da konntest du dann irgendwie direkt auch drauf verzichten beziehungsweise da konntest du dich wirklich nicht mit anfreunden? War es tatsächlich die Kommunikation oder?
Vorteile
SEBASTIAN: Das fand ich ehrlich gesagt sehr angenehmen, auch nicht ständig erreichbar zu sein, nicht ständig Notifications zu bekommen am Smartphone. Das war sehr angenehm. Was wirklich schwer war, meinen Ausweis nicht benutzen zu dürfen, also zum Beispiel ist ja mittlerweile in fast allen Ländern so, dass wenn ich irgendwo in ein Hotel einchecke, dann muss ich mich ausweisen, dann wird dort auch gespeichert, dass ich da bin über Nacht. Das war in Thailand so gut wie unmöglich irgendwo zu übernachten. Habe da auf die Tränendrüse gedrückt und mir Stories einfallen lassen, warum mein Reisepass jetzt verloren gegangen ist. Habe bei Freunden auf der Couch geschlafen. Also das war sehr schwer. Auch das Reisen, also allein Fliegen war natürlich unmöglich. Allein ein Busticket zu buchen, ist eigentlich, hätte ich mich auch wieder ausweisen müssen und musste mir immer Ausreden einfallen lassen. Dann an Geld zu kommen, an Bargeld zu kommen ohne Kreditkarte zu nutzen, auch wahnsinnig schwer. Kann jetzt natürlich, was ich auch gemacht habe, dann in Bangkok meine Bitcoins gegen Cash getauscht auf der Straße. Das hat funktioniert, wobei natürlich auch die Bitcoins wieder zurückverfolgt werden können. Also ich habe gemerkt, diese komplette hundertprozentige Anonymität auf legalem Weg ist meiner Meinung nach einfach unmöglich heutzutage.
MITCH: Oder wirklich ein Fulltime-Job, weil das klingt schon anstrengend. Allein die Bargeldbeschaffung klingt ja so, als ob man da deutlich mehr Zeit drauf aufwendet als man sich das eigentlich vorstellen mag.
SEBASTIAN: Mhm (bejahend).
MITCH: Du hattest jetzt aber auch das Reisen gerade kurz erwähnt, weil das ist durchaus noch irgendwie ein Fun Fact deines Projektes, wie du dann tatsächlich gereist bist, und zwar nicht nur ein paar Kilometer.
Reisen ohne Datenspuren
SEBASTIAN: Ja, genau. Schon lange vorher haben wir uns mit Freunden verabredet, Silvester in Bangkok zu verbringen und ich habe zu der Zeit in Chiang Mai gelebt, was so 700 km nördlich von Bangkok ist und musste meinen Flug dann verfallen lassen. Alle meine Freunde sind geflogen und ich bin 2 Tage vorher schon mit dem Roller losgefahren, mit so einem 125 Kubik-Roller. War da 12 Stunden unterwegs, mit Schmerzen im Hintern bin ich dann in Bangkok angekommen, staubüberdeckt und 3 Tage später auch wieder zurückgefahren nach Chiang Mai. Das war, eine Tour war schön, auch mal so das Hinterland von Thailand zu entdecken, und die zweite Tour hätte dann nicht sein müssen. Aber da habe ich auch wieder gemerkt, das gilt auf für alle anderen Experimente, die ich gemacht habe, das hat so meine Gewohnheiten durchbrochen. Dann auch mal wieder unterwegs zu sein mit einer Landkarte, nicht auf Google Maps gucken zu können. Ich bin ja in dem Moment, wo ich mein Handy habe, fühle ich mich auch so unabhängig und bin nicht mehr auf andere Menschen angewiesen. Ohne das Handy war ich auf einmal wieder darauf angewiesen andere Leute nach dem Weg zu fragen und allein dadurch hatte ich so viele witzige und tolle Begegnungen, weil ich nicht mehr so abhängig war von meinen Technologien, von diesem Smartphone. Das war eine sehr schöne Erkenntnis.
MITCH: Nach 2 Wochen hast du dann ein bisschen den Wechsel wieder zurück gemacht und hast versucht mit so alltagstauglichen Gegenständen oder mit alltagstauglichen Methoden deine Daten trotzdem zum größten Teil zumindest zu vermeiden oder deine Datenspuren zu vermeiden, ja?
SEBASTIAN: Genau, richtig. Ja. Ich habe 2 Wochen lang versucht, so extrem zu übertreiben komplett anonym zu sein. Habe dann in den letzten beiden Wochen auch wieder von meinem MacBook aus gearbeitet. Das heißt, jemand, der wirklich, hätte das FBI da angeklopft, die hätten das wahrscheinlich zurückverfolgen können auf mein Gerät und hätten dann die Verbindung zwischen meinen beiden Identitäten herstellen können. Für mich war das immer noch relativ sicher und habe versucht, dann eben solche alltagstauglichen Tools wie Signal, wie Telegram, wie den Firefox-Browser mit verschiedenen Addons zu benutzen.
Im Alltag
MITCH: Okay. Das heißt, das geht auch schon so ein bisschen in die Richtung. Was hast du jetzt daraus für deinen Alltag mitgenommen und beibehalten? Du hast eben schon gesagt, Signal benutzt du immer noch ganz gerne. Sind da von diesen 80 Prozent, die relativ leicht zu erreichen waren, was hast du jetzt gut ein Dreivierteljahr später noch immer so in deinem täglichen Umgang mit dem Internet und vor allen Dingen mit deinem Online-Business? Ich meine, du bist deutlich mehr im Netz unterwegs als viele Otto-Normalbürger.
SEBASTIAN: Tatsächlich. Viele Sachen sind natürlich nicht hängengeblieben, aber einige ja, die ich mir wirklich beibehalten habe, die neue Gewohnheiten geworden sind. Zum einen, eine ganz einfache Sache, die ich jetzt mache, ich benutze normalerweise den Safari-Browser und habe mich auch ständig eingeloggt in mein Facebook-Konto, in mein Google-Konto und mache alles, was so in Richtung Recherche geht, Google-Suchen (da gibts alternative Suchmaschinen) und so weiter, mache ich jetzt alle über den Firefox-Browser. Also die beiden Sachen einfach schon mal zu trennen.
MITCH: Sehr gut. Ja.
SEBASTIAN: Ich versuche auch bei Facebook und Google und diesen ganzen Konten nicht immer die gleiche E-Mail zu verwenden. Mir ist auch einfach klar geworden, wie natürlich die Daten da zwischen den Konzernen auch hin- und her verkauft werden, und es so den sozialen Netzwerken und anderen Diensten einfach ein bisschen schwieriger zu machen, mich da mit Werbung zu manipulieren. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist das Smartphone. Da war mir vorher gar nicht bewusst, wie vielen Apps ich erlaubt habe, meinen aktuellen Standort immer zu sehen und irgendwelche Daten zu übermitteln. Das habe ich im Januar natürlich komplett ausgestellt und habe es jetzt auch bei den meisten Diensten, ich glaube bis auf Google Maps, auch ausgestellt gelassen. Benutze jetzt auf dem Handy zum Beispiel einen Browser Firefox Klar, der keine Daten speichert. Das macht auch sehr viel aus. Ich bin da auch nicht ständig eingeloggt in alle Dienste. Also ich habe jetzt wirklich ein höheres Bewusstsein dafür entwickelt und versuche für mich einen guten Mittelweg zu finden zwischen, ja, Datenschutz ist mir wichtig, aber es muss irgendwie im Verhältnis zu meinem Stresslevel und so der Benutzerfreundlichkeit der Dienste stehen.
Konsequent auch im Business
Ein weiterer Punkt, du hast es gerade schon gesagt, ich bin im Internet relativ präsent und viel unterwegs. Ich habe auch mal überlegt, ich bin ja selber auch ein Datensammler. Ich habe diese ganzen Dienste auf meiner Website installiert, damit verdient man Geld mit den Analysedaten, mit Facebook Werbung, mit irgendwelchen Skripten und Trackern, die ich jetzt selber lange Zeit benutzt habe. Dann kam für mich auch die Frage auf, will ich das eigentlich? Ich predige jetzt anderen Leuten, werdet euch bewusst über eure Privatsphäre und sammle aber zur gleichen Zeit genau von den gleichen Leuten Daten. Das hat dann für mich auch nicht mehr gepasst, sodass ich wirklich einmal durch alle Tracking-Skripte auf meiner Webseite gegangen bin und eigentlich alles runtergeschmissen habe bis auf Google Analytics. Ich möchte gerne Leute inspirieren mit meinen Inhalten, aber ich möchte sie nicht manipulieren über individualisierte Werbung und über irgendwelche Tracking-Skripte, die das Nutzerverhalten messen.
MITCH: Finde ich einen mutigen Schritt, weil ich glaube, das ist tatsächlich, wo die meisten dann irgendwie sagen, am Ende des Tages ist einem das Hemd doch näher als die Hose und da geht’ dann um das eigene Geld und um das letzte Quäntchen Konversionsrate. Da ist es natürlich spannend. Aber klar, man merkt dann schon so ein bisschen so dieser Monat extreme Erfahrung, der prägt einen dann auch ein bisschen, da bleibt ein bisschen was hängen, ja?
SEBASTIAN: Absolut. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, da war auch so ein bisschen Scham einfach dabei. Ein Schamgefühl darüber, wie wenig ich mich bisher damit beschäftigt habe und wie bereitwillig ich meine Daten dafür getauscht habe, mit Facebook und Skype und anderen Dienste kostenlos benutzen zu dürfen. Habe mich da selber so ein bisschen über mich geärgert, wie naiv ich bisher damit umgegangen bin.
MITCH: Das heißt, so deine Einstellung zu kostenlosen Produkten, ich meine, von Jaron Lanier gibt’s ja dieses oft zitierte oder diese oft zitierte Aussage mit dem, wenn du nicht für ein Produkt bezahlt, bist du nicht Kunde der Konzerne, sondern deren Produkt. Das heißt so deine Einstellung zu kostenlosen Angeboten hat sich dann auch ein bisschen gewandelt?
SEBASTIAN: Absolut. Also es gibt, Protonmail fällt mir gerade ein, ich glaube, das kostet 10 Dollar im Monat, ist auch kein riesengroßer Betrag und das ist der Gegenwert für meine Privatsphäre.
MITCH: Absolut. Ja.
SEBASTIAN: Das würde ich auch überhaupt nicht verurteilen oder beurteilen, das muss am Ende jeder selber entscheiden, aber diese 10 Dollar sind es mir mittlerweile wert, meine Daten nicht einfach so wegzugeben.
Feedback
MITCH: Wie haben denn deine Leser darauf reagiert? Du hast gesagt, das ist ein Projekt gewesen oder das Projekt gewesen, wo es die meisten Abstimmungen dann oder die meisten Stimmen dafür gab, das direkt zu machen. Wie ist denn das Feedback hinterher gewesen? Weil typischerweise, meine Erfahrung ist ja, interessieren tut viele Leute das Thema schon, aber tatsächlich dann auch den eigenen Schritt zu machen, ist natürlich dann schon schwierig. Wie hast du das dann erlebt in deiner Community?
SEBASTIAN: Sehr, sehr großes Interesse, aber du hast es eben schon genau richtig gesagt, man liest dann so einen Artikel und was man dann selber für sich am Ende umsetzt, ist nochmal eine ganz andere Frage. Ich glaube, man muss es den Leuten leichtmachen. Genau das ist das Problem aus meiner Sicht mit diesen ganzen verschlüsselten Programmen, die eine sehr hohe Sicherheit bieten, aber die man ohne technisches Verständnis nur schwer bedienen kann. Ich glaube, mit solchen Tools wie zum Beispiel mit diese App Firefox Klar oder wie mit einem Signal ist das sehr, sehr einfach. Also man muss das einfach und verständlich machen. Ich habe auch versucht da nicht als Missionar aufzutreten, sondern so einfache Vergleiche zu schaffen, zu sagen, hey, also die meisten Leute sagen ja immer, ich habe nichts zu verbergen und jeder darf alles wissen, was ich mache. Wenn man dann Leute mal fragt, ob so eine Kamera im Badezimmer auch okay wäre oder ob der neue Partner alle Bilder von der Ex sehen sollte, dann kommen die auch ganz schnell ins Schwitzen und dann entsteht dieses Bewusstsein. Ich hoffe, dass ich das bei einigen Leuten schaffen konnte.
MITCH: Also ich hoffe es auch. Wie gesagt deine, du hast ja mehrere Artikel über das Thema geschrieben, 2 oder 3 glaube ich sogar, also sowohl im Vornherein und dann auch tatsächlich die Zusammenfassung des Ganzen. Also absolut lesenswert und hoffentlich auch das Interview, das den einen oder anderen vielleicht ein bisschen davon überzeugt, zumindest mal einzelne Schritte zu gehen. Jetzt hast du ja noch 2 Projekte in deinem 12-Monats-Programm vor dir und speziell das Dezember-Projekt geht ja auch in eine sehr interessante Richtung. Vielleicht möchtest du zum Abschluss darüber noch ein bisschen was erzählen, weil das glaube ich, ist vielleicht auch interessant für diese Thematik hier.
Quantified Self
SEBASTIAN: Absolut. Ja. Im Dezember endet das Jahr mit dem kompletten Gegensatz zum Januar, wie es begonnen hat, und zwar werde ich da ganz nach dem Vorbild der Self Quantified Bewegung alle Daten messen, die ich so messen kann über meinen Alltag. Das heißt von der Ernährung über den Schlaf bis hin zur Produktivität, Fitness, mein Gewicht, mein Eiweißgehalt, also wirklich alles, was irgendwie messbar ist. Will mich da quasi komplett nackig machen von den Daten her. Dann geht es einfach darum, bei dieser Bewegung zu schauen, was haben diese einzelnen Daten jetzt für Zusammenhänge, also welche Auswirkung haben die untereinander? Was hat zum Beispiel meine Ernährung für Auswirkungen auf den Schlaf und wie kann ich da optimieren? Das heißt, das ist im Grunde der gläserne Bürger, der sich ständig selber optimieren möchte. Da bin ich jetzt natürlich ein bisschen vorbelastet nach dem Januar, versuche ich aber trotzdem mit einem offenen Geist ranzugehen und freue mich da drauf und freue mich auch drauf, danach wirklich mal beide Extreme einen Monat gelebt zu haben und dann für mich einfach ein Fazit zu ziehen.
MITCH: Finde ich ein spannendes Thema. Der Naturwissenschaftler in mir findet natürlich diese Daten, die man dann auswerten kann, tatsächlich richtig spannend, aber ich bin gespannt auf deine Erfahrungen da. Sebastian, vielen Dank dafür. War sehr interessant zu hören, was du da zu berichten hast, was du da tatsächlich erfahren hast und auch welcher Anteil bei dir tatsächlich ich sag mal hängengeblieben ist und welcher Anteil dann tatsächlich auch zu kompliziert war. Weil ich denke, das ist wichtig, da auch irgendwie für sich einen Weg zu finden, der machbar ist und der nicht unnötig Stress verursacht.
SEBASTIAN: Habe vielen Dank, Mitch. Mir hat das Gespräch Spaß gemacht und danke auch für deine Arbeit, die du tust. Ich glaube, das ist ein Thema, was heute schon wichtig ist und immer wichtiger wird.
MITCH: Super! Ich danke dir, Sebastian. Tschüss!
SEBASTIAN: Mach’s gut. Ciao!
So. Das war das Interview mit Sebastian von Wireless Life. Ich fand es superspannend zu hören und von Sebastian live zu erfahren, wie weit man gehen kann, wenn man tatsächlich diese komplette Anonymität ausprobieren möchte.
Zwei Sachen fand ich besonders bemerkenswert.
Das eine ist, Sebastian hat ja sehr eindrucksvoll geschildert, wie schwierig für ihn es wirklich war so diesen vermeintlichen 100-Prozent-Weg zu gehen, dass das jeden Tag mehr Stress war und einfach überhaupt nicht zu seinem gewohnten Arbeiten gepasst hat. Dass es dann aber natürlich deutlich besser wurde und er ja auch viel mit in den Alltag rüber genommen hat, als er so für sich den richtigen Weg gefunden hat. Das ist ja auch eine Vorgehensweise, die wir hier durchaus immer diskutieren, nämlich jeder muss für sich den richtigen Weg finden. Dafür muss man ein wenig verstehen, wie die Methoden funktionieren, wie Datensammlung, wie Überwachung funktioniert und welche Maßnahmen man treffen kann. Dann greifen für jeden vielleicht andere Sachen und jeder ist bereit einen anderen Weg zu gehen und das ist auch okay so.
Der andere Punkt, der mich natürlich sehr gefreut hat, ist, dass Sebastian aus diesen Erfahrungen auch was abgeleitet hat für den Betrieb seines Online-Business, nämlich deutlich weniger Tracking, deutlich weniger Datenerfassung einzusetzen. Denn diese Daten sind natürlich nicht nur dafür dann da, um den Webseitenbetreibern zu erlauben, besseres Marketing zu machen, was ja noch legitim wäre, sondern diese Daten werden natürlich auch immer den großen Datensammler wie Google, wie Facebook zur Verfügung gestellt. Das finde ich schön, dass Sebastian daraus was abgeleitet hat und hoffe, er geht da mit gutem Beispiel voran und andere nehmen sich daran ein Vorbild.
Ich hoffe, es hat euch gefallen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir unter mitch@datenwache.de eine E-Mail schreiben würdet und mir sagt, ob ihr mehr Interviews dieser Art haben wollt, ob ihr mehr über solche Themen, über solche Projekte vielleicht erfahren wollt und dann wünsche ich euch alles Gute und freue mich darauf, euch in 2 Wochen wieder mehr von der Datenwache erzählen zu können.
Euer Mitch.